Einige Jahre habe ich gebraucht, um wirklich in der Mutterrolle anzukommen. Einige
Tiefs und sehr nervenaufreibende Zeiten musste ich durchleben, um wieder die schönen Seiten der Elternschaft zu sehen.
Erst im Frühling 2021, als ich bereits 1,5 Jahre Alleinerziehend war, habe ich mich voll und ganz neu in meine Kinder verliebt und kann seither das Muttersein wirklich voll und ganz genießen –
auch wenn es natürlich oft anstrengend ist, ist es inzwischen eine positive Art der Anstrengung.
Geprägt durch meine eigenen Kindheit habe ich am Anfang meiner Mutterschaft teilweise Dinge so übernommen, wie ich sie selbst erlebt hatte – und festgestellt, dass sie nicht gut bzw. für mein
Kind bzw. meine Kinder nicht passend waren. Ich habe angefangen, Dinge zu reflektieren, mich mit der kindlichen Entwicklung auseinanderzusetzen und wurde so nach und nach zu der Mutter, die ich
heute bin.
Grundlagen meiner
Erziehung
„Das war schon immer so“ oder „Das gehört sich so“ ist für
mich kein Argument!
Nur weil andere Eltern die Dinge so machen oder man es früher so gemacht hat, heißt das nicht, dass ich die Dinge automatisch genauso machen muss. Ich hinterfrage die
Dinge, informiere mich und tue das, was ich für richtig halte. Gerade im Bereich der frühkindlichen Entwicklungspsychologie hat man heute wesentlich mehr Erkenntnisse als vor 30 Jahren.
Auch in der Kommunikation mit meinen Kindern sind Dinge wie „Das gehört sich so“ kein Argument! Meine Kinder sollen lernen, Dinge zu hinterfragen und selbst nachzudenken – und nicht alles
gedankenlos zu übernehmen, weil „man“ das so macht.
Ich nehme meine Kinder an, wie sie sind – und nehme sie als Menschen mit
eigenem Willen ernst!
Die Wünsche und die Meinung meiner Kinder sind mir wichtig und werden akzeptiert, ernst genommen und – wenn möglich – umgesetzt bzw. fließen in einen Kompromiss mit
ein. Ich möchte meine Kinder nicht formen und schon garnicht zu Wesen machen, die nur gehorchen und Sanktionen fürchten. Meine Kinder dürfen – in kindgerechtem Umfang – Dinge selbst
entscheiden.
Wenn meine Kinder mich um Hilfe bitten, helfe ich ihnen – auch bei Dingen, die sie eigentlich bereits alleine können. Dahinter steckt keine Faulheit, sondern meist der Wunsch, die Sache eben
gemeinsam zu machen und der Wunsch nach Bestätigung dessen, dass man für das Kind da ist, wenn es einen braucht. Auf der anderen Seite ermutige ich sie aber auch immer wieder, Dinge alleine
auszuprobieren, bei denen sie bisher immer Hilfe bekommen haben – ich lasse sie damit aber nicht alleine, sondern bleibe dabei, schaue zu, ermutige und helfe, wenn sie es möchten.
Wichtig ist mir, die Handlungen meiner Kinder zu hinterfragen und nicht gleich zu verurteilen oder zu übergehen. Wenn das Kind zum Beispiel beim Spazierengehen plötzlich wie wild in die andere
Richtung zieht, wird dieser Wunsch nicht ignoriert und es zum Weitergehen gezwungen – ich versuche erstmal herauszufinden, was es möchte. Meistens ist der Grund total simpel und es möchte zB nur
warten, bis das Feuerwehrauto vorbei gefahren ist, das es an der nächsten Kreuzung entdeckt hat.
Verständnis sowie Kommunikation & Kooperation sind mir wichtiger als die „Macht“ über meine Kinder zum Ausdruck zu bringen.
Im Gegenzug erkläre ich ihnen, warum ich mir welche Dinge von ihnen wünsche und warum welche ihrer Wünsche nicht umsetzbar sind oder warten müssen. Kinder sind nicht dumm – ganz im Gegenteil, sie
verstehen unglaublich viel. Und vor allem die Kooperationsbereitschaft des Kindes ist um ein Vielfaches höher, wenn es versteht, warum es Dinge machen soll oder warum Dinge nicht möglich
sind.
Auch die Tatsache, dass das Großkind und auch das Kleinkind sehr verträumt und oft in ihrer eigenen Welt versunken sind, sodass man sie oft mehrmals anspricht ohne jegliche Reaktion, ist zwar
anstrengend und manchmal ärgerlich – aber es ist nunmal (autismusbedingt) eine Sache, die zu ihnen gehört und sie ausmacht.
Respekt, Kommunikation und gegenseitiges Verständnis sind die Grundlage meine Familie und bilden auch die Grundlage dafür, wie ich mit anderen Menschen umgehe.
Vorleben und ein gutes Vorbild sein ist für mich die beste Art der Erziehung. Ich kann nicht von meinem Kind erwarten, dass es sich ganz anders verhält als es es bei mir selbst sieht.
Ein „Nein“ hat immer einen sinnvollen Grund
Natürlich ist es nicht immer möglich, den Kindern alle Wünsche zu erfüllen. Manchmal gibt es einfach Gründe, aus denen eine Sache nicht
umsetzbar ist – dann erkläre ich es dem Kind, sodass es es versteht.
Den Kindern etwas zu verbieten, nur weil es mir selbst gegen den Strich geht oder ich meine elterliche „Macht“ ausspielen will, ist ein absolutes No-Go.
Gefühle dürfen gezeigt und ausgelebt werden
Kinder können ihre Gefühle noch nicht regulieren! Gerade in der sogenannten „Trotzphase“ lernen sie sich selbst und ihre Gefühle kennen.
Außerdem realisieren sie, dass sie eine eigene Persönlichkeit sind, wollen immer mehr selbst machen und streben nach Autonomie. Kinder erleben Gefühle noch sehr stark – ist etwas lustig, freuen
sie sich über alle Maßen; sind sie traurig, dann sind sie das sehr; etc.
Die Gefühle können noch sehr schnell wechseln – das hat nichts mit Schauspielerei zu tun, das Kind will damit auch nichts bei den Erwachsenen erreichen – es empfindet einfach noch ganz anders und
ungefilterter als Erwachsene!
Gerade bei meinen neurodivergenten Kindern wird sich dieses ungefilterte Erleben und Empfinden auch nicht so schnell verwachsen.
Ich akzeptiere die Gefühle meiner Kinder und spiele sie nicht herunter. Meine Kinder sollen lernen, dass ihre Gefühle nicht falsch sind und dass sie sich nicht dafür schämen müssen! Sie werden
noch früh genug mitbekommen, welche Gefühle man in welcher Form und zu welchem Anlass sozial erwünscht zeigt – frühestens aber dann, wenn sie ihre Gefühle rein von ihrer psychischen Entwicklung
her überhaupt regulieren können. Ich als Mutter akzeptiere bei meinen Kindern alle Gefühle und Stimmungen – die Kinder dürfen sie ausleben und ich bin für sie da und helfe ihnen, damit
umzugehen.
Auch negative Gefühle wie WUT, NEID oder AGGRESSION sind Teil der menschlichen Gefühlswelt – und werden genauso zugelassen wie positive Gefühle!
Nicht nur Erwachsene, auch Kinder haben mal einen schlechten Tag. Wichtig ist, dass sie dann genauso angenommen und geliebt werden – vielleicht sogar noch mehr Unterstützung und Halt erfahren als
sonst. Meine Kinder müssen nicht nur funktionieren und „lieb sein“, sondern dürfen sein, wie sie sind – auch an schlechten Tagen. Wichtig ist mir aber an der Stelle, den Kindern wieder und wieder
zu erklären und zu spiegeln, wie sich ihr Verhalten auf andere auswirkt.
Wutanfälle – Sicherheit schaffende Begleitung statt Schimpfen und Bestrafen
Bei einem Wutanfall ist das Kind selbst am meisten überfordert! Mit liebevoller Begleitung helfe ich meinem
Kind aus der Situation heraus und helfe ihm beim Umgang mit diesem großen Gefühl. Schimpfen ist in dieser Situation absolut kontraproduktiv – das Kind ist einfach überwältigt von und überfordert
mit diesem starken Gefühl und kann damit allein einfach nicht umgehen. Das heißt nicht, dass es in dieser Situation automatisch bekommen soll, was es möchte! Das heißt nur, dass es Begleitung und
Verständnis braucht statt Bestrafung. Wenn es darum geht, dass das Kind etwas nicht bekommt, was es gerne hätte, erkläre ich ihm ruhig und kindgerecht, warum es das nicht bekommt – statt selbst
laut zu werden.
Kinder sind weder gut noch böse
Kinder sind per se nicht böse. Kinder sind auch nicht „brav“ - denn sie wissen garnicht wie „sich zu benehmen“ funktioniert. Ihr Verhalten ist immer
ein Spiegel dessen, was in ihrer Welt passiert. Kinder zeigen in ihrem Verhalten, ob sie zufrieden sind oder nicht.
Zeigen Kinder Verhaltensweise, die „problematisch“ sind, machen sie das nicht aus Bosheit – es ist lediglich ein Symptom dessen, was in ihrem Leben falsch läuft bzw. woran es ihnen fehlt.
Empathie ist noch nicht möglich
Empathie ist die Soziale Kompetenz, die Kinder am spätesten lernen. Teilweise bis zum 6. Lebensjahr vermischen sie eigene mit fremden
Gefühlen und übertragen die eigenen Gefühle auf Andere.
Will heißen: wenn Kind A Kind B den Ball wegnimmt, ist Kind A glücklich, weil es nun den Ball hat. In seinem Denken ist es so, dass auch Kind B nun automatisch glücklich sein muss. Dass andere
Menschen dieselben Dinge anders empfinden, versteht ein Kleinkind noch nicht. Es ist wichtig, es dem Kind zu erklären – freundlich und kindgerecht. Immer und immer wieder – auch wenn es
anstrengend ist.
Das Erkennen und Verstehen der Gefühle Anderer ist etwas, was speziell meine autistischen Kindern noch sehr lange, vermutlich ein Leben lang, vor Herausforderungen stellen wird. Und wo sie
Unterstützung und Verständnis brauchen und brauchen werden.
Meine Kinder sind laut – und das ist okay!
Kinder haben ihre eigene Persönlichkeit und ihr eigenes Temperament – und das ist auch gut so! Ich will meine Kinder kennen lernen und nicht
nach meinen Wünschen formen.
Hinzu kommt, dass meine neurodivergenten Kinder große Probleme mit der Impulssteuerung haben – auch in Bezug auf ihre eigenen Lautstärke und ihren Bewegungsdrang.
Ich passe mich dem Tempo des Kindes an
Jedes Kind hat sein eigenes Tempo. Wenn es darum geht, wann ein Kind anfängt zu krabbeln oder zu sitzen, ist das Jedem klar. Doch auch bei
Dingen wie auf Toilette gehen oder alleine woanders schlafen, hat jedes Kind sein individuelles Entwicklungstempo. Ich zwinge meine Kinder diesbezüglich zu nichts und respektiere ihre
individuelle Entwicklung! Ich zeige und erkläre den Kindern die Dinge (gerne auch immer wieder), zwinge ihnen aber nichts auf.
Jedes Kind ist anders
Auch Grundsätzlich nehme ich die Kinder als das Individuum an, das es ist. Nicht nur das Tempo ist unterschiedlich, daneben hat natürlich auch jedes Kind seine
ganz persönlichen Stärken und Schwächen, seine Vorlieben und Abneigungen und seine speziellen Charakterzüge. Vergleiche zwischen den Geschwistern a la „Schau mal, wie toll dein Bruder das macht –
warum kannst du das nicht so toll?“ sind nicht nur unfair, weil sie Äpfel mit Birnen vergleichen, sondern setzen das Kind auch unnötig unter Druck. Familie und Geschwisterschaft soll nicht zum
Wettbewerb werden – auch die Kinder unter einander sollen lernen, sich unter einander so zu lieben und anzunehmen wie sie sind.
Geschenke sollen Freude machen
Kinder brauchen viel und sind teuer. Dennoch sollen Geschenke dem Beschenkten Freude machen – und nicht die Liste der notwendigen Ausgaben verkürzen.
Dinge, die die Kinder ohnehin brauchen, bekommen sie von mir – egal ob Kleidung oder Autositz. Zu Geburtstag, Weihnachten, etc. sollen die Kinder Dinge bekommen, die ihnen wirklich Freude machen.
Das muss auch definitiv nichts Großes sein – im Zweifelsfall ne Kleinigkeit plus Etwas für die Spardose.
Eigentum wird geachtet
Auch die Kinder dürfen entscheiden, mit wem sie ihr Eigentum (Spielzeug, Bücher, etc.) teilen oder eben nicht. Wenn das Eigentum des Kindes nicht geachtet wird,
kann man nicht erwarten, dass es jemals anfängt, freiwillig zu teilen – es wird immer Angst haben müssen, dass die Dinge, die ihm gehören, ihm gegen seinen Willen wieder weggenommen werden.
Außerdem wird es so auch nicht lernen, das Eigentum anderer zu respektieren.
Wenn das Kind sein Spielzeug, dass er für sich allein geschenkt bekommen hat, keinem anderen Kind ausborgen möchte, ist das vollkommen okay! Dann darf er aber ggf. auch nicht einfach mit dem
Spielzeug anderer Kinder spielen.
Bei den Dingen, die alle Kinder gemeinsam geschenkt bekommen, ist mir hingegen wichtig, dass auch alle mitspielen dürfen.
Ein gewohnter Rhythmus schafft Sicherheit
Ich versuche, meinen Kindern einen sicheren Rahmen zu geben – der für mich auch einen festen Rhythmus beinhaltet. Das bezieht sich vor allem
auf die Bettgehzeit inklusive Abend-Ritual sowie und ungefähren Essenszeiten. Haben die Kinder zwischendrin Hunger, gibt es zusätzlich eine Kleinigkeit.
Natürlich gibt es immer Ausnahmen – wenn das Kind krank ist, wenn man bei einer Familienfeier ist oder Ähnliches.
Meine neurodivergenten Kinder brauchen diesen festen Rhythmus nochmal deutlich mehr. Das Großkind hat schon sehr früh (etwa im Alter von 6 Monaten) sehr deutlich gezeigt, dass er einen festen
Rhythmus braucht und war immer 2-3 Tage komplett neben der Spur, wenn er mal für einen Tag aus seinem Rhythmus heraus kam.
Selbstbestimmung über den eigenen Körper
Die Kinder sollen lernen, selbstbestimmt mit ihrem Körper umzugehen. Das heißt, von klein auf entscheiden sie selbst, wen sie umarmen, wem sie
die Hand oder ein Küsschen geben. Sie sollen lernen, dass sie selbst die Grenzen setzen – und die Grenzen Anderer zu akzeptieren.
Nähe und Sicherheit sind Grundbedürfnisse
Für kleine Kinder ist Nähe ein genauso wichtiges Bedürfnis wie Hunger oder Durst.
Daher wurden meine Kinder im jungen Alter viel getragen, wir schliefen mehrere Jahre alle zusammen im Familienbett und auch heute noch können meine Kinder jederzeit nachts in mein Bett kommen,
wenn sie das wollen oder brauchen.
Die Kinder sollen sich sicher sein können, dass ich immer da bin, wenn ihnen etwas fehlt bzw. sie mich brauchen.
Meine Kinder sind meine Verantwortung
Ich habe mich selbst entschieden, drei Kinder zu bekommen. Bewusst in einem sehr geringen zeitlichen Abstand – in dem Wissen, dass die ersten
Jahre sehr anstrengend werden würden. Mir war bewusst, dass dadurch in den ersten Jahre andere Dinge in den Hintergrund rücken oder gar wegfallen würden.
Inzwischen sind die Kinder 5, 7 und 9 Jahre alt und Vieles wird nach und nach leichter. Andererseits bin ich nun seit mehreren Jahren alleinerziehend und 85 % der Zeit allein für alles zuständig.
Dennoch sehr ich es als meine Verantwortung, meine Kinder groß zu ziehen. Dementsprechend plane ich meinen Alltag so, dass ich es alleine hinbekommen würde. Wenn andere Menschen (Großeltern,
Paten) ohne mich Zeit mit den Kindern verbringen wollen und die Kinder das auch möchten, ist das natürlich für mich ein schöner Bonus und immer gerne gesehen – setzt aber voraus, dass meine
Ansichten toleriert werden und nicht gegen meinen Erziehungsstil gehandelt wird!
ZEIT ist der Schlüssel zu
Vielem
Ich habe inzwischen gelernt, dass meine Kinder
Zeit brauchen. Zeit für sich. Zeit für einander. Zeit mit mir. Zeit, ihren Bedürfnissen nachzukommen.
Und gerade meine sehr reizoffenen Kinder brauchen nochmal mehr Zeit zum Runterkommen, Zeit zum Verarbeiten und Ruhe. Dementsprechend gestalte ich unseren Alltag so, dass genug Zeit bleibt -
meistens klappt das auch ganz gut.
Das heißt ganz konkret: Morgens haben die Kinder vor Schule und Kita ein wenig Zeit zum Spielen. Nachmittags nach Schule, Kita, Hobbies und Therapien haben die Kinder Zeit zum runterkommen ohne
dass der Rest des Tages vollgepackt ist. An Mama-Wochenenden ist der Samstag für Ausflüge oder Besuche da und der Sonntag ganz klar nur für uns und zum Ausruhen. Ich habe das Gefühl, dass meinen
Kindern das sehr gut tut und sie so entspannter sind. Und auch ich selbst bin natürlich entspannter, wenn ich nicht noch mehr durch die Woche hetzen muss - und kann so wiederum auch entspannter
mit meinen Kindern umgehen.
Mai 2023